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Donnerstag, 23. Dezember 2021

Autoren-Adventskalender -> Silke Katharina Weiler

Warum ich nie wieder gemeinsam mit Buchfiguren backe …

»Anlässlich des Adventskalenders von Elenas Zeilenzauber möchte ich euch die Wartezeit auf Weihnachten mit zwei leckeren Rezepten versüßen. Damit ich nicht allein zu Werke gehen muss, habe ich mir Unterstützung besorgt.« Ok, nicht sehr originell diese Einleitung, aber der Anfang ist geschafft. Jetzt muss nur noch meine »Unterstützung« mitspielen.
»Sybill, möchtest du unsere Leser*innen begrüßen?« Lächelnd wende ich mich um. Wahnsinn, sie sieht genau so aus, wie ich sie mir vorgestellt habe: schwarzes Haar, das einen scharfen Kontrast zu ihrem vornehm blassen Gesicht bildet, blaue Augen, die mich fixieren. Ausgesprochen missmutig, wie ich feststelle. »Hallo«, grummelt sie.
Wacker halte ich mein Lächeln aufrecht. »Vielleicht sagst du etwas zum heutigen Ablauf?«
»Erklär mir lieber, warum du die Leute mit dieser Knetmasse quälst?«
»Knetmasse? Welche Knetmasse meinst du?«
»Diese Bällchen, die du uns in ›Stadt ohne Nacht‹ aufgezwungen hast.«

»Wieso aufgezwungen? Was stimmt nicht mit den Energiebällchen?«
»Sie sind nicht lecker.«
»Sybill, glaubst du, irgendjemand bekommt Lust auf diese Rezepte, wenn du Worte wie Knetmasse, quälen oder nicht lecker verwendest?!« 
Sie hebt die Schultern. »Ich sag nur wie's ist.«
Wer hat ihr eigentlich diesen Charakter auf den Leib geschrieben? Das war ja ich selbst, fällt mir ein. Verdammt, ich hätte Ogrion fragen sollen, der hätte mir nachher auch problemlos das Waffeleisen aufheizen können. Am besten ignoriere ich Sybills Laune und mache mit meinen Rezepten weiter. »Nun«, meine ich, »die Energiebällchen in ›Stadt ohne Nacht‹ sind ja das Ergebnis besonderer Umstände. Für Weihnachten habe ich die Rezeptur angepasst.«
Sybills Augen verengen sich. »Angepasst?«
Ich halte ihr ein beschriebenes Blatt unter die Nase:

»Für ca. 50 weihnachtliche Energiebällchen«, beginnt sie zu lesen, »mit etwa 2,5 cm Durchmesser werden benötigt:

160g Medjoul Datteln
40g Rosinen
100g Cashewkerne
100g Mandeln
80g Zartbitterschokolade
2 geh. TL Zimt
Kakao und/oder Kokosraspeln zum Wenden« Einen Moment lang starrt sie auf das Papier, dann hebt sie den Blick. »Ich kann mich nicht an Zartbitterschokolade in unseren Bällchen erinnern.« Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll.
Ich seufze. »Ihr wart auf der Flucht vor der Stadtwache und dem Orden, ich denke, da sollte man seine Erwartungen etwas herunterschrauben.«
»Findest du?«
»Sybill … lass uns das später klären. Wie wäre es, wenn wir einfach beginnen, wegen«, ich nicke verhalten in Richtung unserer Leser*innen, »wegen Weihnachten und so.«
Ihr Mund wirkt schmal, aber sie lenkt ein. »Was muss ich tun?«
Innerlich atme ich auf und beginne zu erklären: »Für die Energiebällchen bleibt der Ofen kalt, du brauchst nur eine Küchenmaschine oder einen guten Mixer. Je nach Leistungsfähigkeit des Geräts bietet es sich an, die Zutaten etwas vorzuhacken. Sybill, wenn du alles bitte nacheinander in diesen Behälter geben würdest.«
Sybill nimmt die Cashewkerne und späht in den Behälter. Ihre Augen weiten sich: »Schau dir nur diese Klingen an!«
»Finger weg! Die säbeln dir glatt die Fingerkuppen ab und Ala ist nicht da!«
Ihr Gesicht wird erneut säuerlich. »Wir hatten solche Hilfsmittel in ›Stadt ohne Nacht‹ nicht, wir mussten alles mühsam kleinhacken.«
»Eine Küchenmaschine hätte da nicht ins Setting gepasst.«
»Dann nimm halt nicht immer dieses pseudomittelalterliche Ambiente.« Sie stupst die Armaturen des Wasserhahns an und betrachtet fasziniert das kleine Rinnsal, dass daraufhin ins Spülbecken läuft. »In eurer Epoche ist alles so viel bequemer.«
»Mag sein, dass wir uns technisch weiterentwickelt haben, aber Intoleranz und Fanatismus wie in diesem Orden findest du auch in meiner Welt noch immer. Leider! Außerdem«, füge ich hinzu, während die Zartbitterschokolade ihren Weg zu den Cashewkernen findet, »tust du gerade so, als sei in ›Stadt ohne Nacht‹ alles mies; die Bällchen, keine Technik, vermutlich hast du auch am Plot etwas auszusetzen.«
»Ach«, meint Sybill und kippt die Rosinen in die Maschine, »da gab es den ein oder anderen schönen Moment.«
»Tatsächlich?« Klasse, wir kommen konkret aufs Buch zu sprechen, das hatte ich gehofft. »Kannst du ein Beispiel nennen?«
Sybill lächelt maliziös. »Dexters Kampf im Wasserkäfig. Als das Messer in seinem Bauch steckte.«
»Ähm ...«
»Oder die Sache mit Eiona und der Mauer.«
»Sybill, findest du nicht-«

Sybills Gesicht hellt sich auf. »Oder, ja, die Stelle, an der Sijj Boltens Leibwächter ihm den Wanst aufschli-«
Ich stelle die Küchenmaschine an und der Lärm der rotierenden und alles zerhäckselnden Klingen schluckt Sybills Worte. Nachdem alle Zutaten zu einer formbaren Masse zerkleinert wurden, gebe ich diese in eine Schüssel. Der kurze Ausflug von Sybills Laune in höhere Gefilde ist schon wieder vorbei. Aber das geht einfach nicht, dass sie hier über andere Figuren herzieht. »Was ist nun mit dieser Knetmasse?«, fragt sie pampig.
»Wir formen Bällchen!«

Sie rollt die Augen. »Wir hätten Ebbi dazuholen sollen …«
Etwa 50 Bällchen später schütte ich etwas Kakao in eine und Kokosraspel in eine andere kleine Schüssel. »Und nun wälzen wir die Bällchen je nach Geschmack in Kakao oder Kokosraspeln.«
»Wir haben unsere Bällchen ja nirgendwo drin wälzen dürfen.«
»Ich weiß …«
»Aber schon klar. Besondere Umstände und so …« Als Sybill jedoch vom Resultat naschen darf, ist sie sichtlich zufrieden. »Die find legga«, gibt sie kauend zu. Ihr Blick schweift über die restlichen Zutaten. »Waff ipfd denn mid dem pfweiden Repfebd?«
»Das zweite Rezept? Meine absoluten Lieblingsplätzchen, die backe ich jedes Jahr: Zimtwaffeln! Dazu verwende ich ein altes Zimtwaffeleisen.« Mühsam fördere ich das schwere Ding aus einem Schrank zutage. Sybill nimmt es entgegen und wiegt es in Händen.

»Hat ordentlich Gewicht«, meint sie anerkennend und hebt es wie eine Axt über den Kopf. »Damit kann man durchaus einen Schä-«
»Danke, Sybill!« Schnell nehme ich es ihr ab und komme wieder auf die Zimtwaffeln zu sprechen. »Zimtwaffeln kenne ich nur aus dem Saarland und der Pfalz. Ich würde sagen, es handelt sich um ein eher regionales Gebäck. Natürlich kann man auch ein elektrisches Eisen nehmen, aber ich mag dieses stimmungsvolle Hantieren mit dem alten Waffeleisen.«
»Bah, hör mir mit elektrisch auf …«, murrt Sybill.

»Und hier das Rezept dazu«, fahre ich fort, »für etwa 50 Zimtwaffeln braucht man:

125 g Butter
125 g Zucker
2 Eier
250 g Mehl
30 g Zimt

Zuerst wird die weiche Butter mit dem Zucker in einer Schüssel aufgerührt. Dann die Eier dazu, schön schaumig rühren und zum Schluss kommen Mehl und Zimt dazu. Anschließend sollte der Teig mindestens eine Stunde im Kühlschrank ruhen. Ich habe das aber schon vorbereitet.«
Sybill atmet hörbar auf.
»Dieses Jahr teste ich auch eine vegane Variante. Dazu nehme ich statt Butter 125 g einer Alternative aus Kokosfett und statt Ei Leinmehl, wobei ein halber Esslöffel Mehl, das man in 50 ml Wasser quellen lässt, ein Ei ersetzt.«
Ich nehme die beiden Teigschüsseln aus dem Kühlschrank.
»Am besten bereitet man den Teig für das Eisen vor, solange er noch kalt und fest ist.«
»Und wie bereitet man ihn vor?«, fragt Sybill.
Ich grinse. »Bällchen formen!«
»Mann, wir hätten wirklich Ebbi dazunehmen sollen.«
»Jetzt bin ich ja da«, erklingt eine Stimme hinter uns, »damit hätten wir auch sechs Hände.«
»Ala!« Zum ersten Mal wirkt das Lächeln auf Sybills Gesicht echt. Ala hat sich ganz vorbildlich das lange dunkle Haar zurückgebunden. Neben ihr steht ein ziemlich unauffällig aussehender junger Mann, der sie zu begleiten scheint. Damit hätten wir sogar acht Hände. Irgendwo habe ich sein Gesicht schon einmal gesehen … Ich will fragen, wie sein Name lautet, aber noch während ich den Mund öffne, vergesse ich, nach wessen Name ich eigentlich fragen wollte. Und schon lenkt Ala mich ab, indem sie die Ärmel hochkrempelt und munter »Dann mal los!« ruft.
Gut 100 Teigbällchen später öle ich das Zimtwaffeleisen ein und schalte den alten Zwei-Platten-Kocher an, der nur noch zu diesem Zweck benutzt wird.
»Das Eisen kommt auf eine der Platten und muss schön heiß sein«, sage ich. »Dann setzt man in jedes Feld ein Bällchen und drückt die beiden Hälften aufeinander. Teig, der seitlich herausquillt, wird mit einem Schaber aufgefangen und zurück in die Schüssel gegeben.« Bald ist die Luft vom süßen Duft des Zimts erfüllt. »Die Waffeln sind sehr dünn und daher schnell ausgebacken. Man muss sich an die Zeit herantasten, hier dauert es kaum eine Minute. Dann vorsichtig aus dem Eisen heben und rasch mit einem Messer zerteilen, bevor sie fest werden. Dann bricht auch am Rand nichts weg.«

Brav schneidet Sybill die Waffeln, während Ala die Bällchen auf das Eisen setzt. Die Hälfte ist geschafft, da wird der leckere Zimtduft langsam von dem Qualm überdeckt, der von der heißen, öligen Platte aufsteigt. »Ich mag dieses stimmungsvolle Hantieren mit dem alten Waffeleisen?«, hustet Sybill. »Der Satz hätte von Ogrion stammen können.«
Ich würde gern etwas darauf erwidern, aber dieses Kratzen im Hals … Röchelnd reiße ich die Fenster auf. Das Endprodukt entschädigt jedoch für alle Strapazen. Auch die vegane Variante kann sich sehen und vor allem schmecken lassen. Doch als ich mir noch eine wohlverdiente Zimtwaffel genehmigen will, geht mein Griff ins Leere.

»Sagt mal, habt ihr die Zimtwaffeln versteckt?«, frage ich. Verständnislose Blicke, Sybill und Ala schütteln synchron den Kopf. »Na los, das ist nicht witzig! Wir haben fast zwei Stunden geschuftet, wo sind sie?«
Wir öffnen jede Schranktür, die Zimtwaffeln bleiben verschwunden. Schlimmer noch, auch die Bällchen sind weg. »War jetzt alles umsonst, oder was?«, ereifert Sybill sich.
»Lass uns in Ruhe überlegen, wo sie sein könnten«, beschwichtigt Ala. »Außer uns dreien war doch sonst keiner hier, oder?«
In diesem Moment flattert ein nichtssagendes Gesicht durch meine Erinnerung wie ein welkes Blatt. Da war doch was! Ich muss den Namen in meinem eigenen Buch nachschlagen, aber als ich ihn schwarz auf weiß vor mir sehe, ergibt alles einen Sinn.
»Vlandaër«, knurre ich und knalle das Buch zu.
»Was für ein Flan?«, fragt Sybill.
»Vlandaër!«, wiederhole ich. »Der gehört zu euch.«
»Zu uns?« Sybill denkt angestrengt nach. »Stimmt … jetzt erinner ich mich an ihn.«
»An wen erinnerst du dich?«, frage ich.
»Sind die Zimtwaffeln mittlerweile aufgetaucht?«, fragt Ala.
»Richtig«, meine ich, »die wollten wir ja suchen …« Memo an mich, denke ich, während ich eine Schranktür mit dem Gefühl öffne, der Lösung für das Verschwinden des Gebäcks eben ein Stückchen näher gewesen zu sein, nie wieder gemeinsam mit Buchfiguren backen! 
In diesem Sinne wünsche ich allen Leser*innen ein besinnliches und gesundes Weihnachtsfest!

Zusatz von Elena: Die Energiebällchen und Waffeln schmecken super lecker. Netterweise bekam ich zum Testen ein paar von Silke geschickt :)

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