Unverhoffter Besuch
Keller war am Heiligen Abend alleine zu Hause und versuchte irgendwie, den langen Tag herumzubekommen. Mittags ein Hackbraten seiner Mutter aus der Tiefkühltruhe, eindeutig zu viel Dresdener Stollen am Nachmittag sowie Ahle Wurscht und aufgebackenes Baguette am Abend. Kellers Mutter war bei ihrer Schwester in Kaiserslautern, er hatte nun das Haus fünf Tage für sich. Gestern morgen war sie gefahren, und es hatte nicht lange gedauert, bis das Haus von der üblichen Kellerschen Unordnung erfasst wurde. Überall lagen Zeitschriften zum Themenkreis „Do it yourself“ herum – Kellers neueste Leidenschaft war es, selbst im Haus Hand anzulegen und zur Verschönerung der eigenen vier Wände beizutragen. Das Augenrollen seiner Mutter hatte er wohl wahrgenommen, sich jedoch nicht weiter beirren lassen. Hauptsache, Engelchen würde nichts davon mitbekommen.
Seine ehemalige Kriminalassistentin und jetzige Partnerin in der gemeinsamen Detektei würde ihn unablässig damit aufziehen – sie kannte seine praktischen Fähigkeiten – oder besser gesagt seine Unfähigkeiten – nur allzu gut.Die Überdosis an Dresdener Butterstollen lag ihm noch schwer im Magen, als Ernst Keller am frühen Abend des 24. Dezembers von seinem Schläfchen auf dem Sofa im Wohnzimmer erwachte. Er bekam einen kleinen Schreck, der Fernseher lief noch und zeigt den Abspann von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. „Puh, Glück gehabt“, dachte sich Keller. Er sah auf die Uhr, es war gerade sieben. Dies entlockte ihm ein Grinsen, bereits in wenigen Minuten sollte „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ von „Meister“ Loriot ausgestrahlt werden, für Kellers einsames Weihnachtsfest eindeutig als Highlight fest eingeplant. Als er gerade noch die Vorfreude auf Dickie und den „Klöbener Krötenpfuhl“genoss, klingelte es plötzlich an der Haustür. „Wer zum Teufel konnte das sein?“
Er ging zur Haustür, immer noch verwirrt, wer ihm sein gemütliches Weihnachten stören sollte. Er schaute durch den Späher und erblickte zwei bekannte Gesichter: Draußen im Regen standen Engelchen, die eigentlich Herta Engel hieß, an ihrer Hand ihr Sohn Klein-Holger.
Keller öffnete die Tür und ihm schallte ein kräftiges „Ho Ho Ho“ entgegen.
„Was macht ihr denn hier?“ Wie immer fiel es Keller schwer, sowohl die richtigen Worte als auch den richtigen Ton zu finden. Aber bei Engelchen war er da genau an der richtigen Adresse.
„Wir kommen von der Laienspielgruppe Stammen und suchen noch einen Joseph für unsere expressionistische Interpretation der Weihnachtsgeschichte“.
„Häh?“ Mehr fiel dem immer noch sichtlich verschlafenen Keller dazu nicht ein.
Schweigen und Ungewissheit, wie es nun weitergehen sollte. „Lässt du uns bitte rein, wir sind schon ganz nass?“
„Ja, natürlich. Ich hole euch gleich Handtücher, dann könnt ihr euch abtrocknen.“ Keller war etwas überrascht, einen so praktischen Gedanken sowohl gedacht als auch ausgesprochen zu haben. „Geht doch am besten schon einmal ins Wohnzimmer.“
„Dankeschön.“
Sie hatten sich abgetrocknet, Keller hatte Tee gekocht und saßen sie auf dem Kellerschen Wohnzimmersofa. „Ich denke, ich sollte dir etwas erklären.“ Keller schwieg, daher fuhr sie fort. „Unsere Heizung ist kaputt und das Haus ist bis mindestens morgen Mittag nicht bewohnbar. Ich wollte dich fragen, ob du uns bis morgen Obdach gewährst. Ich garantiere auch, dass weder Hirten noch Könige auftauchen werden.“
Keller grummelte und antwortete nicht gleich. Erst Engelchens enttäuschter Blick entlockte ihm eine Antwort: „Natürlich, ihr könnt gerne hier bleiben.“
Sie teilten sich das Aufbackbaguette und die Ahle Wurscht, dazu tranken sie die erste Flasche italienischen Rotweins. Die Stimmung wurde lockerer, vor allem Keller wurde etwas zugänglicher.
Aber es war Engelchen, die die Initiative ergriff: „Weißt du was? Um zehn Uhr läuft der Film „Ist das Leben nicht schön?“ auf ZDF neo – bis dahin spielen wir Dalli Dalli.“
Keller runzelte die Stirn und fragte mit einem seinem Gefühl nach vollkommen verwirrten Gesichtsausdruck „Dalli Dalli?“
„Ja“, antwortete Engelchen, wir zählen uns die Weihnachtsbräuche in unseren Familien auf – von früher.
Keller schwieg – er dachte an Dalli Dalli. Und daran, woher Engelchen wusste, dass er ebenfalls ein Fan dieses großartigen Weihnachtsfilms mit James Stewart im Örtchen Bedford Falls war?
„Okay, ich hole noch eine Flasche Wein, dann legen wir los.“ Keller schlurfte in Richtung Kellertür.
„Prima, vielleicht hast du sogar eine Flasche „Klöbener Krötenpfuhl?“
Langsam wurde ihm die Frau unheimlich – er lernte gerade eine ganz neue Seite seiner langjährigen Assistentin und heutigen Partnerin kennen – sie mochte sogar Loriot!
Dann saßen sie am Tisch, Klein-Holger schlief zusammengerollt auf Vater Kellers Sessel. Er schaute sie erwartungsvoll an, sie nahm seinen Blick auf und begann zu erklären:
„Wir zählen abwechselnd Weihnachtstraditionen auf, wer keine mehr weiß, hat verloren.“
„Okay.“
„Wir haben beide eine Minute Zeit zu überlegen, dann fängst du an. Nur Traditionen, keine Gegenstände wie Weihnachtsbaum oder Lametta.“
„Okay.“
Die Minute verging, Engelchen gab das Startsignal: „Los gehts!“
Keller: „Glöckchen zur Bescherung“
Engelchen: „Abgeschlossenes Zimmer“
„Weihnachtslied auf der Blockflöte“
„Weihnachtsgedicht“
„Weihnachtsmusik von der Schallplatte“
„Wir warten aufs Christkind.“
„Christmette.“
„Fondue.“
„Nachmittagsspaziergang am Heiligen Abend.“
„Kartoffelsalat und Würstchen.“
„Das wollte ich auch gerade sagen.“ Keller stockte, überlegte und gab sich geschlagen. „Du hast gewonnen.“
Sie hob die Arme in die Luft und musste schon gekonnt balancieren, damit sich dabei nicht das noch recht volle Weinglas auf den weißen Wohnzimmerteppich entleerte. „Ich bringe jetzt Klein-Holger ins Gästezimmer – und dann machen wir es uns gemütlich.“
Keller nahm ein kleines Glöckchen vom Kaminsims und
läutete es so vorsichtig, sodass Klein-Holger nicht aufwachte. Und denkt daran:
„Immer wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel.“
– E N D E –
Ernst Keller und Herta „Engelchen“ Engel sind die Protagonisten der Regionalkrimi-Buchreihe „Tatort Märchenland“, gemeinsam haben sie bereits sieben Fälle gelöst.Christian Schneider, Den Haag
Hallo und guten Tag liebe Elena,
AntwortenLöschenhm, gibt es heute keinen guten Spruch zum Wochenstart...
LG....Karin..
Moin liebe Karin,
Löschenseit der Autoren-Adventskalender gestartet ist, nein.
LieGrü
Elena
Nostalgie pur! Die "Hoppenstedts" ... "Loriot" ... "Ist das Leben nicht schön?" - tolle Geschichte!
AntwortenLöschenMir fehlt da noch "Schöne Bescherung" mit Chevy Chase :)
Löschen"Ist das Leben nicht schön?" habe ich noch nie geschaut.
Elena: Der Film läuft am 1. Feiertag auf 3Sat, 20.15 Uhr - aber nicht so oft wie die "Drei Aschenbecher für Haselmausi". :)
LöschenDankeschön. Und nun dalli dalli zum Butterstollen. :)
LöschenHuhu lieber Christian,
Löschenach, 1. bezweifele ich, dass der Film in mein Beutschema passt und 2. werde ich es mir zu der Zeit in Madeira gut gehen lassen ;)