Dienstag, 21. Dezember 2021

Autoren-Adventskalender -> Hope Cavendish

Amber und Caden sind die Protagonisten von »Suspicious Love«, dem ersten Band der »Friends and Lovers«-Reihe. Auch die anderen Charaktere dieser Kurzgeschichte kommen in den Liebesromanen der »Friends and Lovers« vor. Die Bände sind jeweils abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Weitere Infos hier.

Übrigens gibt es diese Weihnachtsgeschichte auch als eBook zum kostenlosen Download. Ab sofort können sich alle Mitglieder von Cavendish’s Book Club über ihr Newsletter-Abonnement »Weihnachten mit Amber und Caden« inklusive der Weihnachtsrezepte aus der Geschichte hier im Mobi- oder im ePub-Format herunterladen.

Weihnachtsplanung mit Beef

»Musst du am Freitag eigentlich arbeiten oder kommst du mit zur Weihnachtsfeier von Soundalistic Records?«, fragte Amber, kuschelte sich in Cadens Arme und zog die Bettdecke über ihre Schulter.

»Dannys Musiklabel? Ist das schon diesen Freitag?« Caden legte sein Handy auf dem Nachttisch ab und zog seine Freundin näher an sich heran.

Amber lächelte amüsiert. »Morgen ist der erste Dezember, jetzt geht es wieder los mit den ganzen Weihnachtspartys.« Danny O’Hara war Ambers bester Freund und zudem ihr Klient, dessen Popmusikkarriere sie seit einigen Jahren managte. Darum war sie selbstverständlich auch zur Weihnachtsfeier von Dannys Musiklabel eingeladen.

Caden stöhnte leise. »Deine Geschäftsfreunde starten diesmal offenbar sehr früh mit dem Feiern. Ich wollte eigentlich am Freitag mal wieder im Club in Greenwich nach dem Rechten sehen. Wir haben dort doch zwei neue Security-Leute eingestellt und ich wollte checken, ob die auch alles im Griff haben.« Caden leitete als Besitzer die Urbane Clubs, einer Kette exklusiver Nachtclubs in verschiedenen Städten Großbritanniens. Sein bester Freund Jasper unterstützte ihn dabei als Geschäftsführer und Eventmanager.

»Kein Problem, du musst ja nicht mit zu der Party kommen«, beschwichtigte Amber ihn. »Diese Events werden ohnehin nur zum Netzwerken genutzt, du weißt ja selbst, wie das ist.«

Caden nickte. »Übrigens hat Kate uns beide ebenfalls zu ihrer Betriebsweihnachtsfeier eingeladen. Die ist allerdings erst in vierzehn Tagen, also genau dann, wenn Jasper und ich für die Verhandlungen mit unseren Franchisepartnern in New York sind. Würdest du uns eventuell auf Kates Party vertreten?« Kate war Jaspers Lebensgefährtin und hatte als Softwareentwicklerin mit eigener Firma eine App für die Urbane Clubs entwickelt. Somit gehörten auch Caden und Jasper zu Kates Geschäftskunden und hatten als solche eine Einladung zu ihrer Party erhalten.

Amber tat so, als müsse sie einen Moment nachdenken. »Hm. Ich könnte jetzt zwar schmollen, weil du so kurz vor Weihnachten noch ohne mich nach New York düst. Aber ich weiß, wie hektisch es um die Zeit dort ist, darum beneide ich dich kein bisschen. Kate hingegen weiß genau, wie man eine Party feiert. Im Gegensatz zu dir werde ich mich also ganz prächtig amüsieren«, verkündete sie dann grinsend.

»So wirst du das?«, hakte Caden gespielt schnippisch nach und begann, Amber zu kitzeln.

»Ja-haaa, das werde ich«, bestätigte sie kichernd, wich Cadens Händen aus und setzte sich rittlings auf ihn, um sich ihrerseits mit einer Kitzelattacke zu revanchieren.

»Stop! Nein!« Caden lachte prustend und umklammerte Amber mit festem Griff, um sie an ihrem Angriff zu hindern. »Es ist einfach nicht fair, dass ich viel kitzliger bin als du«, erklärte er leicht schnaufend, während er Amber an sich gedrückt hielt. Ihre zierliche, aber dennoch sehr feminine Figur passte perfekt in seine Arme, wie er fand. Vor allem, wenn sie sich so an ihn kuschelte, anstatt ihn zu kitzeln.

»Ich finde das sehr fair«, widersprach Amber. Inzwischen hatte Caden seinen Griff bereits wieder gelockert und sie schmiegte sich mit einem selbstzufriedenen Grinsen an seine muskulöse Brust. »Aber apropos Weihnachten: Wie wollen wir denn dieses Jahr die Feiertage verbringen? Da wir in London bleiben, könnten wir ein Festessen zaubern und alle unsere Freunde einladen.«

Caden strich mit einer Hand durch Ambers rotblonde Locken und wickelte eine Strähne spielerisch um seinen Finger. »Werden Kate und Jasper nicht zu Kates Eltern fahren?«

»Kate hat erzählt, dass ihre Eltern über Weihnachten auf Gran Canaria sind. Sie und Jasper haben also noch nichts vor. Danny und Julian wollten am Nachmittag kurz zu Julians Mutter, die danach anscheinend ebenfalls eine Feier von Freunden besuchen wird.«

Caden nickte nachdenklich, als ihm bewusst wurde, dass es in ihrer gemeinsamen Freundesclique wenig familiäre Bindungen gab. Die Eltern seines Freundes Jasper hatten ihn vor vielen Jahren enterbt, weil sie mit seinen Lebensentscheidungen nicht zufrieden waren. Danny und Amber hatten jeweils keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Cadens Mutter war gestorben, als er noch ein Teenager war und seinen Vater hatte er nie kennengelernt.

»Wenn sie alle noch nichts vorhaben, könnten wir tatsächlich zusammen feiern. Das würde mir gefallen«, stellte er lächelnd fest. »Wir könnten auch Hank dazu einladen.« Hank war Sozialarbeiter und hatten sich in Cadens Jugend um ihn gekümmert, als dessen Mutter ihn aufgrund ihrer Drogensucht vernachlässigt hatte. Heute leitete er gemeinsam mit Caden einen Jugendclub in Dagenham, dem Vorort, in dem Caden aufgewachsen war.

Amber rieb ihre Wange an Cadens Brust und atmete genüsslich seinen Duft ein, der eine Mischung aus dem Zedernduft seines Duschgels, schwachen Zitrusnuancen seines Aftershaves und seiner ganz persönlichen Note war. »Gute Idee«, stimmte sie ihm zu. »Vielleicht könnten wir auch Hilda fragen.«

»Kates Assistentin?«, hakte Caden leicht verwundert nach. »Sicher, warum nicht.«

»Sie ist nicht nur Kates Assistentin, sondern außerdem ihre beste Freundin. Und sie hat sich vor kurzem von ihrem Lebensgefährten getrennt und soweit ich weiß, wäre sie sonst dieses Weihnachten alleine.«

»Ok, also unsere Gästeliste für unser Festessen steht schon mal«, stellte Caden fest und drückte Amber einen Kuss auf die Stirn. »Bleibt noch die Frage nach der Location. Wie wäre es hier? Meine Wohnung ist etwas geräumiger als deine, wir hätten hier also ein bisschen mehr Platz.«

»Aber meine ist gemütlicher und es gibt mehr Lebensmittelhändler in der Umgebung, bei denen wir alles Nötige einkaufen können.«

»Dafür ist meine Küche wiederum größer als deine und etwas besser ausgestattet«, erwiderte Caden grinsend.

Amber schnaubte. »Ja, und nicht wenige weibliche Gäste konnten sich schon ein umfassendes Bild von der Ausstattung dieser Wohnung machen. Weißt du, wenn wir inzwischen eine gemeinsame Wohnung hätten, müssten wir diese Diskussion hier jetzt nicht führen.«

Caden runzelte die Stirn. »Findest du das fair? Du hattest bislang ebenso wenig Zeit wie ich, auf Wohnungssuche zu gehen. Wir sind beide beruflich eingespannt.« Es stimmte tatsächlich, dass bereits sehr viele Frauen eine ganz private Führung durch seine Wohnung erhalten hatten, da er vor seiner Beziehung mit Amber ein ziemlich unstetes Leben als Playboy geführt hatte. Nun wollten er und Amber eigentlich schon seit längerem zusammenziehen und sich dafür eine neue Wohnung suchen. Sie waren bisher einfach nur noch nicht dazu gekommen.

Amber lehnte sich hoch, um Caden ins Gesicht sehen zu können. Ihre linke Augenbraue hatte sich dabei verdächtig in die Höhe gezogen. »Ach, also ist das allein meine Schuld?«

Caden seufzte. »Nein, das habe ich nicht gesagt.« Er versuchte, Amber zurück in seine Arme zu ziehen, aber sie versteifte sich und blickte ihn weiterhin fragend an.

»Also, was hast du dann gesagt?«

Er sah sie leicht irritiert an. »Einfach nur, dass wir beide uns darum kümmern müssen. Schließlich muss die Wohnung auch uns beiden gefallen, wenn wir bis an unser Lebensende dort wohnen wollen.«

Ambers Augenbraue wanderte nun noch ein Stückchen höher, allerdings begann ihr Mundwinkel dabei leicht zu zucken. »Bis an unser Lebensende?«

»Na ja, es wäre doch schön, wenn wir einen Ort finden, der uns beiden so gut gefällt, dass wir danach kein weiteres Mal mehr umziehen wollen«, erklärte Caden schmeichelnd und setzte sich hoch, während sein Blick an Ambers vollen Lippen hängen blieb.

Amber beugte sich vor, bis ihre Nasenspitze fast Cadens Wange berühren konnte, und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ja, das wäre tatsächlich sehr schön.«

Sie senkte ihre Lippen zu einem zarten Kuss auf seine, der sehr schnell hitziger wurde, als Caden sie erneut in seine Arme schloss.

 

Säckchen & Tütchen

Caden schlüpfte vorsichtig aus dem Bett, um Amber nicht zu wecken, und tappte barfuß ins Wohnzimmer, wo an einer der Backsteinwände der Adventskalender aufgehängt war, den Amber ihm geschenkt hatte. Er ließ seinen Blick über den langen Holzstock mit den verschiedenen, liebevoll dekorierten Jutesäckchen gleiten, bis er das Säckchen mit der Nummer Eins darauf fand, löste es vom Haken und ging damit zurück ins Schlafzimmer.

Als er wieder unter die Bettdecke kroch, rührte sich Amber neben ihm. »Warum bist du denn jetzt schon wach?«, murmelte sie anklagend.

»Natürlich, um mein erstes Säckchen zu öffnen«, antwortete Caden gut gelaunt und schaltete seine Nachttischlampe an, um den Knoten des Säckchens besser lösen zu können.

Amber hob den Kopf und bedachte ihn kurz mit ihrer Augenbraue der Missbilligung, bevor sie ihr Gesicht zurück ins Kissen sinken ließ.

Caden ließ sich davon nicht beirren und lächelte herzlich zu ihr hinüber. »Bist du denn gar nicht neugierig, was in deinem Tütchen ist?«

»Doch, aber doch nicht um diese Zeit«, stöhnte sie ins Kissen.

Caden stöhnte ebenfalls, aber verzückt, nachdem er in dem Säckchen zwei handgemachte Erdnussschokoriegel gefunden und den ersten bereits entpackt und ein Stück davon abgebissen hatte. Die Schokoriegel stammten von einer kleinen Konditorei, die Amber kürzlich entdeckt hatte und die allerlei köstliches Konfekt herstellte. Da Amber wusste, dass Caden eine heimliche Schwäche für Naschkram hatte, brachte sie ihm regelmäßig etwas davon mit und hatte auch einen Großteil seines Adventskalenders damit bestückt. Sie wusste des Weiteren, dass Caden in seiner Kindheit nie einen Adventskalender erhalten hatte, darum machte es ihr große Freude, ihn mit solchen Kleinigkeiten zu verwöhnen. Caden wiederum hatte diese Tradition mit Begeisterung übernommen, sodass Amber von ihm nun ebenfalls immer einen Adventskalender erhielt.

»Wenn die restlichen Säckchen ähnliche Köstlichkeiten enthalten, werde ich schon bis Weihnachten völlig aus dem Leim gegangen sein«, überlegte Caden besorgt, nachdem er auch den zweiten Riegel verputzt hatte.

»Ach was, sei nicht so melodramatisch«, murrte Amber durch das Kissen gedämpft, »du weißt genau, dass du einen total heißen Körper hast.«

Caden grinste und beugte sich über sie. »Du findest mich heiß?«, raunte er in ihr Ohr.

Amber drehte den Kopf und begegnete seinem feurigen Blick aus schokoladenbraunen Augen. »Auch das weißt du ganz genau«, entgegnete sie leicht heiser.

»Und weißt du, woran das liegt?«, fragte Caden rau.

Amber fuhr sich unwillkürlich mit der Zunge über die Lippen und sah ihn erwartungsvoll an.

»Weil ich fast jeden Tag etwas für meinen Körper tue!«, rief Caden fröhlich aus und hüpfte aus dem Bett. »Ich gehe jetzt joggen.«

»Du bist völlig verrückt!« Amber knurrte frustriert und zog sich die Decke über den Kopf.

Als sie hörte, wie sich kurz darauf Cadens Wohnungstür mit leisem Klicken hinter ihm schloss, genoss sie die Stille und erlaubte sich, noch eine Weile lang weiterzudösen.

Irgendwann wurde ihre Neugier schließlich aber doch größer als ihre Müdigkeit und sie ging ins Wohnzimmer, um ihren eigenen Adventskalender zu durchstöbern. Dieser war eher eine Art Adventskiste in Form einer rustikalen Weinkiste, die mit einer batteriebetriebenen Lichterkette umwickelt und mit verschieden großen, weihnachtlich verzierten Papiertütchen gefüllt war. Nachdem sie das Tütchen mit der Nummer Eins gefunden hatte, entdeckte sie darin eine kleine Dose mit einem festen Naturparfum der Schweizer Marke No Bullshit. Die natürlichen Inhaltsstoffe waren aus biologischem Anbau und das Parfum roch betörend nach Jasmin und Sandelholz.

Kaum hatte Amber etwas von dem Duft auf ihrem Hals aufgetragen und sich wieder ins Bett gekuschelt, kehrt Caden vom Joggen zurück.

»Was riecht denn hier so verführerisch?«, fragte er lächelnd, als er ins Schlafzimmer kam.

»Na, du bist es auf keinen Fall«, entgegnete Amber trocken. »Aber wenn du schnell duschst, kannst du es vielleicht herausfinden.«

Blitzschnell war Caden im Badezimmer verschwunden und Amber lachte vergnügt auf.

 

Mince Pies & Fettnäpfchen

Danny O’Hara machte hektische Abbruchgesten vor seinem Hals, als er hörte, welches Thema sein Freund Julian auf der Weihnachtsfeier von Soundalistic Records gegenüber Amber anschnitt, aber da war die schicksalhafte Frage bereits gefallen: »Und wie läuft es mit eurer Wohnungssuche?«

Amber zog eine Grimasse und Danny stöhnte laut auf.

»Falsches Thema?«, fragte Julian kleinlaut und sah sie zerknirscht an.

»Kann man so sagen«, schnaubte Amber, zwang sich dann aber zu einem schiefen Lächeln. »Caden und ich kommen einfach nicht dazu, uns nach einer Wohnung für uns beide umzusehen. Seit zwei Jahren pendeln wir beide nun zwischen unseren Apart­ments hin und her. Er hat einen Teil seiner Sachen bei mir, ich habe Sachen bei ihm und oft ist genau das, was man gerade braucht, natürlich ausgerechnet in der jeweils anderen Wohnung.«

»Warum ziehst du nicht einfach komplett zu ihm?«, fragte Julian arglos und schob ein verwundertes »Was denn?« in Dannys Richtung hinterher, als er sah, wie dieser ihm mit aufgerissenen Augen einen warnenden »Echt jetzt?«-Blick zuwarf.

Amber musste wider Willen lachen und legte kurz ihren Kopf auf Dannys Schulter. »Danny versucht nur verzweifelt, dich vor weiteren Fettnäpfchen zu bewahren«, erklärte sie Julian. »Caden hatte früher ziemlich viele ... nennen wir es Frauenbekanntschaften. Seine Wohnung als Liebesnest zu bezeichnen, wäre durchaus eine zutreffende Beschreibung. Ich möchte dort nicht so gerne einziehen. Und Caden weiß das auch.«

»Ich verstehe«, antwortete Julian. »Und warum zieht er nicht zu dir?«

»Meine Wohnung ist für uns beide zu klein. Ich habe doch nur zwei Schlafzimmer und eines davon nutze ich als mein Arbeitszimmer. Und da Caden ebenfalls viel Arbeit von zu Hause aus erledigt, wäre es bei mir für uns beide zu beengt.«

»Erst recht, wenn ihr mal irgendwann zu dritt seid«, überlegte Danny.

Nun drehte sich Amber mit aufgerissenen Augen zu Danny um und er war diesmal derjenige, der mit einem »Was denn?« konterte, während er mit einer fragenden Geste die Hände ausbreitete.

»Wo kommt das denn auf einmal her?«, fragte sie ihn entgeistert.

»Na, es kann doch sein, dass dies für Caden und dich irgendwann einmal ein Thema wird«, verteidigte Danny sich leicht trotzig.

»Also bislang haben wir es zumindest noch nicht thematisiert«, erwiderte Amber bestimmt. »Ich glaube, ich hole mir jetzt erst mal etwas vom Buffet. Darf ich euch Fettnäpfchen-Brüdern etwas mitbringen?«

Danny streckte ihr kurz die Zunge raus, grinste dann aber und Julian lachte. »Wir hätten gerne noch ein paar von diesen köstlichen Mince Pies.«

 

Tütchen Nummer Acht

Am nächsten Morgen stöberte Amber während des Frühstücks in ihrer Wohnung in ihrer Adventskiste und suchte das Tütchen mit der Nummer Acht. Da Caden in der vorangegangenen Nacht in seinem Club in Greenwich gearbeitet hatte, hatten beide seit langem mal wieder getrennt in ihren eigenen Wohnungen übernachtet.

Kurz bevor sie zu der Weihnachtsfeier von Dannys Musiklabel aufgebrochen war, war Caden dann zu ihrer Verwunderung noch bei ihr aufgetaucht und hatte ihr die Adventskiste gebracht. Sie hatte eingewandt, dass sie ihr Tütchen auch immer noch am Nachmittag bei ihm hätte öffnen können, aber Caden hatte nichts davon wissen wollen. »So bekommst du aber dein Adventsgeschenk direkt zum Frühstück«, hatte er gesagt.

Amber hatte zwar nicht verstanden, warum ihm dies so wichtig war, hatte aber nur mit den Schultern gezuckt.

Das Tütchen mit der Nummer Acht war relativ klein. Als Amber es öffnete, fand sie darin einen Schlüsselbund und einen Zettel mit einer Uhrzeit und einer Adresse vor. Sofort hatte sich ihre linke Augenbraue wieder steil erhoben.

Die Adresse auf dem Zettel leitete Amber in den Londoner Stadtteil Notting Hill. Und als sie am Nachmittag zu der angegebenen Uhrzeit dort eintraf, stand sie vor einem Torbogen mit einem eisernen Tor, das zu einer winzigen Mews führte. Auf dem Tor stand »Private Property« und es war verschlossen. Amber probierte zögernd die Schlüssel aus dem Schlüsselbund an dem Torschloss aus und stellte verblüfft fest, dass einer der Schlüssel tatsächlich passte. Die Mews war im Grunde nur ein kleiner Innenhof mit Platz für vielleicht drei parkende Autos. Und anstatt einer schmalen Straße mit Reihenhäuschen wie so viele andere Mews befand sich darin nur ein einziges verwinkeltes und sehr pittoresk wirkendes Haus, das offenbar direkt an die Seitenwand einer der Häuserreihen der Zufahrtsstraße angebaut war. Das Haus war komplett weiß gestrichen und enthielt eine Vielzahl an Sprossenfenstern. Dadurch wirkte das Erdgeschoss des Hauses beinahe wie ein großer Wintergarten, über dem sich eine weitläufige Terrasse erstreckte.

Der zweite Schlüssel des Schlüsselbundes passte in das Schloss der Eingangstür und als Amber das Haus betreten und einen schmalen Flur durchschritten hatte, fand sie sich in einer großen Wohnküche mit Parkettboden wieder. Die Küche war im Landhausstil eingerichtet und auf einem festlich dekorierten Esstisch, der für zwei Personen gedeckt war, standen drei Speisenwärmer aus Edelstahl. Dahinter stand Caden an den Küchentresen gelehnt und lächelte Amber freudig an. Es gab noch keine Lampen in dem Raum, dafür war er durch mehrere Kerzen sowie einen großen Weihnachtsbaum mit Lichterkette illuminiert.

»Ähm ...« Amber lächelte Caden fragend an, während beide aufeinander zugingen. »Was ist dies für ein Haus?«

Caden wirkte ein wenig nervös, wie Amber überrascht feststellte. Er nahm sie in die Arme und begrüßte sie mit einem zarten Kuss, bevor er antwortete. »Es könnte unseres werden, wenn du möchtest. Nach unserem kleinen Disput über die Wohnungssuche habe ich eine Maklerin beauftragt, etwas Passendes für uns zu suchen. Ich sagte ihr, dass die Wohnung zentral, aber optimalerweise in einer ruhigen Seitenstraße liegen sollte und dass wir genügend Räume bräuchten, um mindestens ein Schlafzimmer und zwei Arbeitszimmer unterzubringen. Vorgestern rief sie mich an und fragte, ob es eine Wohnung sein müsse oder auch ein kleines Mews-Haus sein dürfe. Nachdem ich es mir angeschaut habe, ließ ich es reservieren, um es dir zu zeigen. Soll ich dich herumführen? Roastbeef, Yorkshire Pudding und Bratkartoffeln halten sich noch eine Weile lang warm.«

Amber hatte sich schon gefragt, was wohl in den Speisenwärmern sein mochte und musste nun unwillkürlich schmunzeln, weil sie den Inhalt angesichts Cadens Vorliebe für solide Hausmannskost eigentlich auch hätte erahnen können. Sie nickte zustimmend, als Caden ihr den Arm um den Rücken legte und sie zurück in den schmalen Flur geleitete.

Gegenüber der Küche führte eine Tür in eine Garage, in die zwei Autos passten. Neben dem Treppenaufgang befanden sich ein kleines Gäste-WC und ein Hauswirtschaftsraum. Der erste Stock bestand aus zwei Räumen, die wahlweise die Funktion von Schlaf-, Kinder- oder Arbeitszimmern übernehmen konnten, des Weiteren gab es ein Bad und ein großes Wohnzimmer mit Zugang zu der Dachterrasse. Im zweiten Stock befanden sich das Hauptschlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank und einem kleinen Balkon sowie zwei weitere Zimmer und noch ein Bad. Obwohl das Haus vermutlich schon zweihundert Jahre alt war, schienen alle Räume perfekt renoviert zu sein, wie Amber feststellte. Die Bäder waren modern und luxuriös saniert und fast alle anderen Zimmer hatten Parkettböden.

»Gefällt es dir?« Caden sah Amber erwartungsvoll an. »Wir hätten Platz für zwei Arbeitszimmer sowie zum Beispiel für ein Gästezimmer und eine kleine Bibliothek.«

Amber nickte strahlend. »Es gefällt mir sehr. Ich mag die verspielten kleinen Details, wie die Sprossenfenster und die verwinkelten Erker. Ist das Haus sehr teuer?«

Caden schüttelte den Kopf. »Offenbar ist ein vorheriger Interessent für das Haus kurzfristig abgesprungen und das hat uns in die Karten gespielt, den Preis zu drücken. Soll ich der Maklerin sagen, dass sie den Vertrag aufsetzen soll?«

»Ja!« Amber sprang ihm begeistert in die Arme und Caden schwenkte sie fröhlich im Kreis herum, während beide ausgelassen lachten.

»Dann lass uns das jetzt feiern«, schlug er vor, »bevor das Roastbeef doch noch kalt oder der Champagner warm wird.«

»Unglaublich, dass es nun doch so schnell geklappt hat«, bemerkte Amber kichernd, während sie zurück in die Küche gingen.

Caden lächelte sie an und ließ den Champagnerkorken knallen. »Wir bekommen unser kleines Weihnachtswunder eben schon am zweiten Advent. Ich werde die Maklerin gleich am Montagmorgen kontaktieren, bevor Jasper und ich nach New York fliegen.«

 

Zu viele Weihnachtsgerüche

Wie Amber bereits vermutet hatte, wusste Jaspers Freundin Kate tatsächlich, wie man eine spektakuläre Party schmeißt. Die Weihnachtsfeier von Kates Softwarefirma ChesDix fand in den Backsteingewölben des historischen Lagerhauses Tobbaco Dock statt und hatte das Motto »Roaring Twenties«. Wie einst bei den Speakeasies der Prohibitionszeit erhielten die Gäste nur Einlass in das Lagerhaus, wenn sie dem Türsteher das Passwort nannten, das in diesem Fall »Whoopee Christmas« lautete. Es gab eine Jazz-Band, eine Champagner-Bar, Blackjack- und Roulette-Tische, deren Einnahmen einer Londoner Kinderklinik zugutekamen, ein exquisites Buffet und Flapper-Girls, die die Gäste mit akrobatischen Tanzeinlagen unterhielten.

Kate selbst war mit dem schwarzen Nadelstreifenanzug, der perfekt an ihre kurvige Figur angepasst war, der weißen Krawatte und dem Fedora-Hut wie ein weiblicher Al Capone gekleidet. Sie begrüßte Amber mit einer herzlichen Umarmung und berichtete ihr sogleich, dass sie nicht nur Flapper-Girls, sondern auch gut gebaute »Flapper-Boys« engagiert habe.

»Schließlich wollen die Augen der weiblichen Gäste ebenfalls verwöhnt werden«, verkündete sie vergnügt. »Solange Caden und Jasper in New York sind, mangelt es uns definitiv ein wenig an Sahneschnittchen.«

»Die beiden kommen ja nächste Woche zurück«, antwortete Amber lachend. »Immerhin scheinen ihre Verhandlungen bislang ganz gut zu verlaufen.«

»Ja, das hat Jasper mir auch schon berichtet«, bestätigte Kate lächelnd. »Und du und Caden seid demnächst Hausbesitzer, wie ich gehört habe?«

Amber nickte glücklich. »Ja, es ist ein entzückendes kleines Mews-Haus in Notting Hill. Der Kaufvertrag ist fertig aufgesetzt und wir werden ihn beide unterschreiben, sobald Caden wieder da ist.«

In dem Moment stieß Kates Freundin Hilda zu ihnen. »Schön, Sie wiederzusehen, Amber. Kate, die Leute von Brackman sind da.«

Kate lächelte Amber entschuldigend an. »Das ist ein wichtiger Kunde von uns. Die muss ich begrüßen. Warst du schon an unserem Dessert-Buffet? Hilda kann dich hinführen. Wir haben da sehr leckere kleine Brownie- und Baiser-Variationen.«

Amber ließ sich gut gelaunt von Hilda zum Dessert-Buffet führen, wo die beiden Frauen verschiedene der süßen Sünden ausprobierten.

»Hm, diese Ananas-Lollipops mit der Kokoscreme sind köstlich«, stöhnte Amber verzückt.

»Nicht wahr?«, stimmte Hilda ihr begeistert zu. »Wir sollten uns aber auch etwas Weihnachtliches gönnen. Wie wäre es mit einem Glühwein oder einem Apfel-Punsch?«

Amber nickte zustimmend, aber als sie vor dem Glühweinstand standen und die schweren Düfte der heißen Getränke in ihre Nase stiegen, verzog sie unwillkürlich das Gesicht und ging zwei Schritte zurück.

Hilda sah sie besorgt an. »Sie sehen ganz blass aus. Ist alles in Ordnung?«

Amber hielt sich die Hand vor die Nase und schüttelte leicht den Kopf. »Ich ... ich glaube, ich vertrage den Geruch nicht. Mir ist ein wenig flau.«

Hilda hakte sich bei ihr unter und zog sie von dem Stand weg. »Sollen wir eventuell kurz an die frische Luft gehen?«

»Ja, vielleicht«, überlegte Amber. »Obwohl ...« Sie blieb abrupt stehen und blickte Hilda alarmiert an. »Können Sie mir sagen, wo die Toiletten sind?«, presste sie hervor.

»Da vorne links den Gang runter und dann auf der rechten Seite«, antwortete Hilda stirnrunzelnd.

Amber rannte davon. An der Damentoilette angekommen, war sie erleichtert, dass sie nicht anstehen musste, und stürzte in die erste freie Kabine. Von Wellen der Übelkeit überrollt, begann sie sofort über der Schüssel zu würgen und nicht nur die soeben verzehrten Desserts, sondern auch ihr Mittagessen zu erbrechen.

Als sie die Kabine wieder verließ, um sich an einem der Waschbecken frisch zu machen, warte dort bereits Hilda mit besorgtem Blick auf sie. Sie reichte ihr eine kleine gekühlte Wasserflasche, die Amber dankbar ergriff, um sich mit einem Teil davon den Mund auszuspülen und dann den Rest zu trinken.

»Vielleicht habe ich es mit den Desserts ein wenig übertrieben«, überlegte sie mit schwachem Lächeln. »Ich werde wohl besser nach Hause fahren. Würden Sie mich bei Kate entschuldigen?«

»Selbstverständlich. Aber fühlen Sie sich dazu schon kräftig genug? Hier gibt es ein kleines Büro mit einem Sofa, auf dem Sie sich ein wenig ausruhen könnten.«

Amber schüttelte den Kopf. »Nein, vielen Dank. Es wird schon gehen. Draußen stehen genügend Taxis. Ich werde eines davon nehmen.«

»Gut, dann werde ich Sie aber noch dorthin begleiten«, verkündete Hilda bestimmt.

»Noch mal vielen Dank«, sagte Amber, als sie am Taxistand angekommen waren. »Es tut mir leid, dass ich Ihre wundervolle Party so abrupt verlassen muss.« Sie stieg in einen der Wagen ein, nannte dem Fahrer ihre Adresse und ließ das Fenster herunter, um sich von Hilda zu verabschieden.

»Ihre Übelkeit kam tatsächlich sehr plötzlich«, stellte diese fest.

Amber nickte verlegen. »Vielleicht sind mir die ganzen Weihnachtsfeiern in diesem Jahr ein wenig auf den Magen geschlagen.«

Hilda sah sie verständnisvoll an. »Möglicherweise sind Sie aber auch schwanger, Kleines«, entgegnete sie mit einem nachdenklichen Lächeln und winkte ihr zu, als das Taxi sich in Bewegung setzte.

»Nein, das kann nicht sein.« Amber lächelte und schüttelte vehement den Kopf, während sie zurückwinkte und das Taxi abfuhr.

Sie ließ sich gegen die Lehne des Rücksitzes fallen und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. »Das kann eigentlich nicht sein ...«, wiederholte sie stirnrunzelnd.

Shuttlebus zum Mittagssnack

Amber ließ ihren Blick über die Passagiere streifen, die in die Ankunftshalle des Heathrow Airport einströmten.

»Da sind sie«, verkündete sie und stupste Kate leicht an, als sie Caden und Jasper entdeckte. Sie strahlte Caden glücklich entgegen, dessen Mund sich in dem Moment zu einem ebenso strahlenden Lächeln verzog, als er sie in der Menge der Wartenden erspäht hatte.

»Und? Wie viele weitere Urbane Clubs wird es demnächst in New York und Umgebung geben?«, fragte Amber, nachdem beide Männer ihre Freundinnen mit einem innigen Kuss begrüßt hatten und sie nun alle gemeinsam in Richtung Ausgang gingen.

»Mindestens vier«, berichtete Caden zufrieden.

»Unser Franchisepartner hat ein gutes Gespür für geeignete Locations und Events, die perfekt in unser Konzept passen«, fügte Jasper bestätigend hinzu.

»Ich muss nachher zwar zurück in die Firma, hätte aber noch Zeit für einen kleinen Snack. Sollen wir alle noch irgendwo etwas essen gehen?«, fragte Kate. »Dann könnt ihr uns mehr darüber erzählen.«

Inzwischen waren sie an einem Taxistand angelangt und Caden schüttelte bedauernd den Kopf. »Da unser Flug leider ein bisschen Verspätung hatte, haben wir dazu keine Zeit. Amber und ich müssen direkt zu unserer Maklerin, weil wir uns dort gleich mit meinem Anwalt treffen, um den Kaufvertrag für unser Haus zu unterschreiben. Aber vielleicht können wir uns heute Abend alle auf einen Cocktail treffen?«

»Seid mir nicht böse, aber ich hatte ein paar hektische Tage«, wandte Amber daraufhin ein. »Darum ist mir nicht so nach Cocktails. Ich würde heute Abend lieber zu Hause bleiben und mich mit dir auf die Couch kuscheln.«

»Okay.« Caden sah Amber leicht erstaunt an, während er einem Taxifahrer sein Gepäck übergab. »Dann sehen wir uns am Christmas Day bei uns?«, fragte er an Kate und Jasper gerichtet.

»Klar. Bis dann«, antwortete Jasper lächelnd und Amber und Caden stiegen in ihr Taxi.

Kate blickte Jasper mit einem verspielten Lächeln an. »Also haben wir den Mittag ganz für uns. Hast du großen Hunger?«

»Ja.« Jasper grinste und sah Kate vielsagend an. »Allerdings nicht auf Essen.«

Kates Augen begannen vergnügt zu funkeln und sie biss spielerisch auf ihre Unterlippe. »Sollen wir zu dir oder zu mir fahren?«

»Das dauert jeweils eine gute Stunde«, gab Jasper zu bedenken. »Ich bin dafür, wir nehmen den Shuttlebus.«

»Den Shuttlebus?« Kate runzelte die Stirn und sah in die Richtung, in die Jasper mit seiner Hand wies. Dort standen mehrere Busse mit Fahrtzielanzeigen wie dem Hilton Hotel, Holiday Inn und anderen Flughafenhotels.

»Eine Spitzenidee!«, lobte Kate ihn und grinste fröhlich.

 

Cracker-Bestellung

»Noch ein Stückchen mehr nach links«, wies Amber Caden mit prüfendem Blick an, als dieser im Jugendclub einen Weihnachtsbaum aufstellte. »Nein, das war wieder zu weit. Ja, so ist es perfekt!«

Caden trat einen Schritt zurück, legte einen Arm um Ambers Schultern und betrachtete den Baum. »Hältst du es wirklich für nötig, dass wir hier noch einen zweiten Baum aufstellen?«

Amber nickte resolut. »Auf jeden Fall. Es macht den Raum einfach gemütlicher und der Baum aus der Haupthalle wäre viel zu riesig, um ihn hier unterzubringen. Dass es ein künstlicher Baum ist, sieht man nur, wenn man ganz nah herangeht. Und es ist doch praktisch, dass er bereits fertig geschmückt ist.«

Caden sah sich zufrieden um. Der Raum, den sie für die Weihnachtsfeier des Jugendclubs dekoriert hatten, wurde sonst für die Essen der Kochgruppen und gelegentlich für Mitarbeiterbesprechungen genutzt. »Eigentlich könnten wir die Lichterketten an den Wänden auch nach Weihnachten noch hängen lassen. Er lässt den Raum jetzt in der dunklen Jahreszeit gleich behaglicher erscheinen.«

Amber wollte ihm gerade zustimmen, da rumpelte es an der Tür und Kate und Jasper erschienen mit jeweils zwei riesigen Weihnachtsdosen auf den Armen. »Bescherung!«, rief Jasper grinsend aus.

»Wir dachten, ihr könntet noch ein paar Christmas Cookies für die Weihnachtsfeier gebrauchen«, erklärte Kate lächelnd. »Die habe ich bereits Anfang Dezember in meiner Lieblingsbäckerei geordert und sie sind einfach superlecker.«

»Ein paar?«, wiederholte Amber lachend, als sie in eine der Dosen blickte, die Kate inzwischen abgestellt und geöffnet hatte. Sie waren randvoll gefüllt mit verschiedenen bunt dekorierten Keksen. »Damit bekommen wir ja das halbe Stadtviertel satt.«

Kate winkte grinsend ab. »Eure Kids sind doch noch im Wachstum, die bekommt ihr schon weg.«

»He!«, rief Amber protestierend, als Caden seinen Arm zwischen die beiden Frauen geschoben und sich einen Ingwerkeks aus der Dose gemopst hat. »Die sind für die Weihnachtsfeier!«

»Was denn?«, entgegnete Caden mit vollem Mund und zuckte grinsend mit den Schultern. »Du hast doch eben gesagt, die reichen fürs halbe Viertel.«

»Schließ sie lieber bis morgen weg«, schlug Jasper Amber vergnügt vor. »Sonst reichen sie bald nur noch für ein viertel Viertel.«

Unterdessen hatte sich Kate im Raum umgesehen. »Sag mal, ist dieses Zimmer nicht eventuell ein wenig klein für eure Weihnachtsfeier?«

Caden schüttelte den Kopf. »Morgen werden nur etwa zwanzig Kids kommen. Wir hatten schon vor zwei Tagen eine große Party mit allen Clubmitgliedern, Spielen, Tanz und Karaoke. Die Weihnachtsfeier morgen Vormittag wird ruhiger sein und ist nur für die Kids, die gar keine Gelegenheit haben, ein Fest mit der eigenen Familie zu verbringen. Wir werden gemeinsam essen, ein paar Brettspiele spielen und ein Secret Santa veranstalten, bei dem sich alle gegenseitig beschenken. Allerdings haben wir es zur Bedingung gemacht, dass für die Geschenke kein Geld ausgegeben wird, sondern sie ausschließlich in unseren Koch-, Back- oder Handwerkskursen angefertigt wurden. Das war eine gewisse Herausforderung für diejenigen, die diese Kurse bislang gemieden haben, aber trotzdem gerne an der Feier teilnehmen wollten«, fügte er lächelnd hinzu. »Aber da die meisten wenig bis gar kein Geld haben, hielten wir diese Lösung für gerechter.«

»Eine gute Idee«, stimmte Kate anerkennend zu. »Übrigens haben wir auch noch ein paar Geschenke für euch. Ich habe vier ausrangierte und generalüberholte Mitarbeiter-PCs mitsamt Monitoren, Tastaturen und Mäusen dabei. Du sagtest doch neulich, dass ihr noch mehr Equipment für eure Computerkurse gebrauchen könntet.«

»Wow, das ist super! Vielen Dank!« Caden umarmte Kate begeistert.

»Hilfst du mir, die PCs hereinzubringen?«, fragte Jasper.

»Klar.« Caden ging ans andere Ende des Raumes, um seine auf einem Stuhl abgelegte Jacke zu holen.

»Den Irish Christmas Cake nach dem Rezept meiner Grandma habe ich für unser Weihnachtsdinner schon fertig gebacken«, sagte Kate an Amber gewandt. »Soll ich morgen Abend sonst noch etwas mitbringen?«

Amber schüttelte den Kopf. »Nein, lieben Dank. Jasper bringt Salate mit, Hilda ihre berühmte Pastete, Caden und ich kümmern uns um den Truthahn und die Beilagen und Danny und Julian bereiten Eggnog und Weihnachtscocktails zu.«

»Hast du denn in dem kleinen Laden, den ich dir empfohlen hatte, die individuell angefertigten Christmas Cracker erhalten, die du gesucht hast?«, fragte Kate daraufhin.

Amber blickte hastig an Kate vorbei, um sich zu vergewissern, dass Caden und Jasper den Raum bereits verlassen hatten, und lächelte Kate dann an. »Ja, vielen Dank, das war kein Problem. Ich hatte ja ohnehin schon genügend Christmas Cracker für uns alle besorgt und brauchte nur noch zusätzlich einen ganz besonderen.«

Kate sah Amber fragend an.

 

Truthahn ohne Massaker

»Wow, das riecht ja köstlich!« Cadens väterlicher Freund Hank grinste begeistert, als er am Abend des Christmas Day Cadens Apartment betrat.

»Es ist auch alles fast fertig, du kommst gerade rechtzeitig«, begrüßte Jasper ihn herzlich, der ihm die Tür geöffnet hatte. Hank traf als letzter Gast zum Weihnachtsessen von Amber und Caden ein, weil er mit den Jugendlichen im Jugendclub noch länger Zeit auf ihrer Feier verbracht hatte. Amber und Caden waren bereits am Nachmittag von der Feier im Club aufgebrochen, um das Essen für ihr Dinner vorzubereiten.

Hank betrat Cadens geräumiges Wohnzimmer mit offener Küche und begrüßte die anderen, die mit vereinten Kräften dabei waren, die letzten Handgriffe für ihr Weihnachtsdinner zu erledigen. Amber beobachtete mit Argusaugen den riesigen Truthahn im Ofen, während sie nebenbei die Bratensoße vorbereitete. Caden bereitete Gemüse und Röstkartoffeln für die Beilagen vor. Kate und Jasper verteilten die mitgebrachten Vorspeisen auf Schüsseln und Platten und Danny und Julian kümmerten sich um die Getränke.

»Kann ich euch noch irgendwas helfen?«, fragte Hank.

»Sie können helfen den Tisch zu decken«, erklärte Hilda fröhlich und drückte ihm einen Stapel Teller in die Hände. »Ich bin übrigens Hilda.«

»Freut mich, Hilda. Ich bin Hank«, antwortete er lachend und folgte Hildas Anweisungen beim Eindecken des großen Esstisches.

Cadens Wohnung war in einem der ehemaligen Lagerhäuser von Shad Thames untergebracht und hatte aufgrund ihrer Backsteinwände und Deckenbalken bereits einen rustikalen Charme. Doch nun war die Wohnung mit Weihnachtssocken am Kamin, bunt geschmücktem Weihnachtsbaum, Papiergirlanden, Lorbeerkränzen und Kerzen dekoriert und wirkte dadurch noch einmal wesentlich gemütlicher. Hank erkannte unschwer, dass die ganzen Dekorationen Ambers Werk sein mussten, und bewunderte, dass sie es geschafft hatte, den Raum zu verwandeln, ohne ihn mit Kitsch zu überfrachten.

»So, Kinder, wer möchte einen Eggnog?«, rief Danny munter. »Er ist gut durchgezogen und versüßt uns die Wartezeit auf den Truthahn.« Er schöpfte den warmen Eierpunsch mit einer Kelle aus dem Kessel und verteilte die Gläser an die Freunde.

»Amber, was ist mit dir? Einen Eggnog?«, fragte Danny und hielt ihr ein Punschglas vor die Nase.

Amber verzog leicht angewidert das Gesicht und schüttelte nur den Kopf.

Danny blickte sie verdutzt an. »Möchtest du lieber einen Cocktail? Julian ist zwar nicht so versiert wie Cadens Barkeeper, aber er mixt ein paar ganz passable Margaritas.«

»Danke, nein!«, entfuhr es Amber leicht schnippisch. »Ich habe wirklich nicht vor, mich schon vor dem Essen zu betrinken.«

»Es sagt doch niemand, dass du dich betrink...«, setzte Danny zur Erwiderung an, wurde aber von Julian unterbrochen, der hinzutrat und Amber seinen Arm um die Schultern legte. »Möchtest du nicht eine kleine Pause machen, Amber? Ich kann dir auch einen leckeren Virgin Margarita mixen, ganz ohne Alkohol. Caden hat den Truthahn sicher im Blick und um die Soße kann sich ebenso gut jemand anderes kümmern.« Er drückte Danny den Löffel in die Hand, mit der Amber die Bratensoße umgerührt hatte, und zog Amber vom Herd weg.

»Aber pass auf, dass sie nicht zu klumpig wird!«, ermahnte Amber Danny, als sie sich von Julian wegführen ließ.

»Sorry«, entschuldigte Amber sich mit einem verlegenen Lächeln, während sie mit Julian auf einer Couch am anderen Ende des Wohnzimmers Platz nahm. »Ich habe mich wohl gerade wie das Klischeebild einer gestressten Hausfrau aufgeführt. Aber ich bin ein wenig nervös, ob der Truthahn auch gelingt und das Essen allen schmecken wird.«

»Es wird bestimmt alles sehr lecker sein«, beruhigte Julian sie. »Und selbst wenn etwas nicht perfekt wird: Du weißt schon, dass wir alle in erster Linie nicht wegen des Essens, sondern wegen der netten Gesellschaft hier sind, oder? Du darfst ruhig auch mal eine Pause machen und die anderen arbeiten lassen.«

Amber nickte lächelnd und blickte dann zu Danny hinüber, der sich mit Kate unterhielt und dabei genüsslich an seinem Eggnog schlürfte. »Ich habe allerdings den Eindruck, dass du zudem Danny ein wenig aus dem Weg zu gehen versuchst. Ihr habt, seit ihr hier seid, kaum drei Worte miteinander gewechselt.«

Nun war es an Julian, etwas verlegen zu lächeln. »Ich glaube, Danny ist ein bisschen genervt von mir. Nachdem wir heute Nachmittag meine Mutter besucht haben, habe ich gesagt, dass ich es schade finde, dass er seine Eltern an Weihnachten nicht ebenfalls trifft.«

»Nun ja, das liegt ja nicht nur an Danny«, wandte Amber vorsichtig ein. »Sie haben sich ebenso wenig darum bemüht, Kontakt mit ihm aufzunehmen.«

Julian nickte gedankenverloren. »Das weiß ich ja. Und auch, dass sie seine Homosexualität nie akzeptiert haben. Dennoch frage ich mich, ob es nicht vielleicht doch noch Möglichkeiten einer Annäherung gäbe. Aber Danny ist auf das Thema nicht gut zu sprechen.«

»Alle zu Tisch!«, rief Caden in dem Moment und blickte mit einem fröhlichen Lächeln zu ihnen herüber. »Es ist angerichtet.«

Sie versammelten sich alle am großen Esstisch, während Caden mit geschickten Handgriffen den Truthahn tranchierte.

»Ich hätte ja vermutet, dass du den Vogel eher massakrierst, aber es sieht sehr professionell aus, was du da tust«, bemerkte Jasper erstaunt.

»Ich habe mir vorher ein paar Tranchier-Tutorials auf YouTube angeschaut«, erklärte Caden grinsend. »So, wer möchte etwas von der Füllung?«

»Ich!«, riefen alle gleichzeitig und brachen daraufhin in lautes Lachen aus.

 

Weihnachtsüberraschung

Nachdem alle sich an Truthahn, Füllung und Beilagen satt gefuttert hatten, standen Danny und Julian auf, um ein paar der Platten und Schüsseln abzuräumen und so Platz auf dem Tisch für die Desserts zu schaffen.

Auf halbem Weg drehte Danny sich um und fragte, ob er die Eiscreme ebenfalls schon mitbringen solle.

»Selbstverständlich!«, rief Caden gut gelaunt, während Kate gleichzeitig ein triumphierendes »Ha!« ausstieß.

»Was ist?« Danny sah sie fragend an.

»Du stehst unter dem Mistelzweig«, verkündete Kate munter. »Julian, du weißt, was du jetzt zu tun hast!«

Danny blickte nach oben und sah tatsächlich über sich den Mistelzweig an einem Holzbalken hängen. Er verzog resigniert das Gesicht, während Julian, der inzwischen neben ihn getreten war, ihn zögernd ansah.

Danny erwiderte den Blick, zuckte mit den Schultern und schlang seine mit Schüsseln bepackten Hände um Julians Hals, um ihn zu einem Kuss zu sich heranzuziehen.

»Autsch!«, stieß Julian leise hervor, als Danny dabei eine der Schüsseln leicht an sein Ohr haute. Aber dann wickelte er seine Arme um Danny und erwiderte den Kuss so innig, dass ihre Freunde schließlich mit Pfiffen und Jubelrufen Beifall spendeten.

Unterdessen war Amber kurz in einem anderen Zimmer verschwunden und kam nun mit einem großen Korb bunt dekorierter Christmas Cracker wieder, die sie an alle Freunde verteilte. »Da wir das ganze Essen sowieso erst mal ein bisschen verdauen müssen, bevor wir im Magen Platz für die Desserts haben, dachte ich, wir können es in der Zwischenzeit ein wenig krachen lassen«, erklärte sie schmunzelnd.

Als alle begannen, die Cracker gemeinsam mit ihren Tischnachbarn unter lautem Knallen auseinanderzuziehen und die darin enthaltenen kleinen Geschenke und Glückwunschzettel zu offenbaren, wollte Caden ebenfalls einen der Cracker aus dem Korb nehmen, aber Amber hielt ihn auf.

»Warte«, bat sie mit einem nervösen Lächeln. »Ich habe für dich einen anderen Cracker.«

Erstaunt beobachtete Caden, wie Amber noch einmal kurz verschwand und dann mit einem Christmas Cracker zurückkehrte, der anders dekoriert war als die anderen und zudem etwas größer war.

Ambers Wangen waren leicht gerötet und sie hielt Cadens fragendem Blick mit funkelnden Augen stand, als sie ihm das Ende des Crackers entgegenhielt, um ihn gemeinsam mit ihm auseinanderzuziehen. Es knallte ebenso laut, wie bei den vorherigen Crackern, doch an Stelle eines kleinen Gimmicks fiel aus diesem Cracker ein Paar flauschig-roter Babysöckchen mit Rentiermotiv heraus.

Caden starrte wortlos auf die Söckchen, dann blickte er Amber an. »Also deshalb wolltest du keinen Eggnog?«, fragte er mit vor Verblüffung geweiteten Augen.

Amber nickte und erwiderte seinen Blick unsicher. »Was denkst du? Ich meine, wir haben bislang noch nicht ernsthaft über Familienplanung gesprochen, aber ...« Weiter kam sie nicht, weil Cadens Gesicht sich zu einem strahlenden Lächeln verzogen hatte und er sie in einer festen Umarmung an sich zog.

»Also machen wir aus dem Gästezimmer im neuen Haus doch lieber ein Kinderzimmer«, erklärte er glücklich.

 

Ende

 

Glossar / Weihnachten in England

Christmas Eve & Christmas Day:
Der Christmas Eve ist der 24. 12., entspricht also unserem Heiligabend, und der Christmas Day ist der 25. 12., also unser 1. Weihnachtstag. Nur während hierzulande Weihnachten im Kreise der Familie meist an Heiligabend gefeiert wird, dient der 24.12. in England üblicherweise noch den Weihnachtsvorbereitungen. Am Christmas Eve wird die Wohnung geschmückt, die Socken werden an den Kamin gehängt, damit Father Christmas (der Weihnachtsmann) die Geschenke darin platzieren kann, und das Essen für das große Festmahl am nächsten Tag wird vorbereitet. Am Morgen des 25.12. findet dann die Bescherung statt und ab mittags wird mit Truthahnbraten, Beilagen und Plumpudding geschlemmt.

Christmas Cracker:
Hierunter versteht man in buntem Papier verpackte und weihnachtlich dekorierte Knallbonbons, die man meistens nach dem Festessen an Weihnachten gemeinsam mit seinem Tischnachbarn zum Knallen bringt, indem man sie an den Enden auseinanderzieht. Der Knall dabei entsteht durch einen Zündstreifen und es fällt ein kleines Geschenk, ein Glückwunschspruch oder ein Scherzartikel aus dem Cracker heraus.

Mews:
Mews sind kleine Gassen, an denen sich früher die Stallungen und Remisen herrschaftlicher Stadtvillen befanden. Üblicherweise lagen die Mews in zweiter Reihe hinter den großen Alleen und Straßen mit den Stadthäusern. Deren dazugehörige Stallungen schlossen sich rückwärtig an und führten zur Mews hinaus. Oberhalb der Remisen befanden sich meist die Unterkünfte der Dienstboten und Kutscher. Inzwischen sind viele dieser ehemaligen Stallungen in pittoreske kleine Appartements mit angegliederter Garage umgewandelt worden und gehören mit zu den begehrtesten Wohnungen in London.

Bei meinen Londonreisen habe ich ein paar dieser Mews fotografiert -> hier

Mince Pies:
Mince Pies sind ein traditionelles Weihnachtsgebäck in England. Hierunter versteht man kleine Mürbeteigtörtchen, die mit dem sogenannten Mincemeat gefüllt sind. Das Mincemeat ist eine Mischung aus verschiedenen getrockneten und kandierten Früchten, die üblicherweise schon Wochen vor dem Backen der Mince Pies in Alkohol eingelegt wird.

Mistelzweig:
Der Mistelzweig ist eine traditionelle Weihnachtsdekoration in England, die bereits auf keltische Rituale zurückreicht. Der jüngeren Tradition zufolge darf jemand, der unter dem Mistelzweig steht, von seinem Liebsten geküsst werden und dies sorgt dann dafür, dass die Liebe lang hält.

Secret Santa:
Secret Santa ist ein Brauch, den wir hier unter dem Namen Wichteln kennen. Mitglieder einer Gruppe werden per Zufallsprinzip einer Person zugeordnet, der sie etwas schenken müssen. Üblicherweise werden die Rahmenbedingungen und der Wert des Geschenks im Vorfeld für alle Gruppenmitglieder festgelegt.

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